Autismus und Trauma - Hilfe statt Heilung

Reportage zum Themenabend Regionalverband Autismus Rhein-Main e.V.

redaktioneller Beitrag von Klaus Leitzbach veröffentlicht am 10. Mai 2021

 

Autismus wird als eine vielfältige und komplexe neurologische Entwicklungsstörung definiert. Menschen mit Autismus fällt es schwer emotionale und soziale Signale richtig einzuschätzen und es ist für sie auch schwierig diese Signale auszusenden. Trotz enormer Anstrengungen die auf dem Gebiet der Forschung unternommen wurden, gibt es bis heute keine allgemein anerkannte Erklärung der Ursachen autistischer Störungen.

 

Die heutige Forschung und Wissenschaft unterscheidet zwischen unterschiedlichen Formen des Autismus, wie zum Beispiel Autismus im frühkindlichen Stadium oder auch Asperger-Syndrom.

 

Die verschiedenen Formen haben aber alle etwas gemeinsam: die Betroffenen haben Störungen der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung ihrer sozialen Interaktion, der Kommunikation und auch das allgemeine Verhalten auswirken.

 

Die Mehrheit der Menschen mit Autismus benötigen aufgrund der umfassenden Beeinträchtigungen lebenslang Unterstützung und Hilfe. Diese Hilfe bietet in FrankfurtRheinMain der Regionalverband zur Förderung von Menschen mit Autismus "Autismus Rhein-Main e.V." mit Sitz in Frankfurt.

 

Viele Autisten haben ihr Leben lang mit Barrieren zu kämpfen

Bildquelle: Regionalverband Autismus Rhein-Main e.V.
Bildquelle: Regionalverband Autismus Rhein-Main e.V.

"Traumatische Erfahrungen durch Ablehnung und Abwertung sind eine der Ursachen, die teils lange Leidenswege verursachen"

 

In der vergangenen Woche lud der Frankfurter Selbsthilfeverband zu dem Themenabend „Autismus und Trauma – Hilfe statt Heilung“ ein, der aufgrund der Corona-Pandemie nur online durchgeführt wurde.

 

Von der Resonanz waren die Veranstalter Autismus Rhein-Main e.V. überrascht, denn fast hundert Teilnehmer- und Teilnehmerinnen aus unterschiedlichen Bereichen nahmen das virtuelle Angebot des Themenabends am 5. Mai anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung wahr.

 

Das große Interesse aus ganz verschiedenen Bereichen bestätigte die Relevanz des Themas „Autismus und Trauma“. In ihren Vorträgen informierten zwei Referentinnen mit besonderer Kompetenz im Bereich Autismus zu den Schwerpunkten Barrieren, Trauma und Psychiatrie aus verschiedenen Blickwinkeln: Brit Wilczek, auf Autismus spezialisierte Psychotherapeutin und Regina Kucharski, selbst Betroffene mit bewegendem Erfahrungshintergrund.

 

Wie gut diese Ergänzung gelungen ist, zeigten die vielen positiven Reaktionen der Teilnehmer- und Teilnehmerinnen, unter denen gleichermaßen Betroffene, Eltern wie auch viele Fachkräfte vertreten waren. Viele Autisten haben ihr Leben lang mit Barrieren zu kämpfen – oft sind es unsichtbare Barrieren, die von anderen Menschen gar nicht als solche erkannt werden. Trotz vieler Fähigkeiten und Stärken passt für Autisten einfach vieles nicht in einer größtenteils neurotypischen Welt (siehe Begriffserklärung).

 

Autisten erleben die Welt anders als andere Menschen und müssen im „normalen“ Alltag oft enorme Anpassungsleistungen erbringen. Sie erleben dabei einen hohen Erwartungsdruck durch ihr Umfeld und befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen Isolation und Selbstverlust durch übermäßige Anpassung. Traumatische Erfahrungen durch Ablehnung und Abwertung sind eine der Ursachen, die teils lange Leidenswege verursachen.

 

Demgegenüber steht eine enorm schlechte Versorgungslage im psychiatrischen Bereich besonders für erwachsene Autisten. Die Psychotherapeutin Brit Wilczek verfügt über fundiertes Wissen und langjährige Erfahrung im Bereich Autismus. Sie berichtete in sehr anschaulicher Darstellung über Besonderheiten der autistischen Wahrnehmungsverarbeitung und die Entstehung und Behandlung von Traumata aus ihrer Praxiserfahrung.

 

Im Anschluss durften die Teilnehmer- und Teilnehmerinnen an der bewegten und bewegenden, aber auch ermutigenden Lebensgeschichte von Frau Kucharski teilhaben, die mit bewundernswerter Stärke einen von Fehldiagnosen geprägten Weg gegangen ist und dabei bis heute um ein „Gesehen werden“ statt „Geheilt werden“ kämpft.

 

Die abschließende Fragerunde wurde bis zum Schluss für einen regen Austausch genutzt. (kl)

 


Begriffserklärung:

Der Begriff "neurotypisch" charakterisiert Menschen, deren neurologische Entwicklung und Status mit dem übereinstimmen, was die Mehrzahl der Menschen als normal bezüglich der Sozialkompetenzen und sprachlichen Fähigkeiten ansehen.


Hintergrund:

Der Selbsthilfeverband Autismus Rhein-Main e.V. wurde 1976 gegründet und hat heute über 550 Mitglieder – Angehörige, Betroffene und Fachkräfte. Der Verein ist der zweitgrößte seiner Art in Deutschland und setzt sich als Interessenvertretung für die Rechte von Menschen im Autismus-Spektrum und ihre selbstbestimmte Teilhabe in allen Lebensbereichen ein.

 

Barrieren, die autistischen Menschen den Zugang zu vielen Lebensbereichen erschweren, Trauma durch Fehldiagnosen und -behandlung und die dürftige Versorgungslage im psychiatrischen Bereich: das sind Themen, die viele Mitglieder besonders betreffen und denen durch diese Veranstaltung ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu teil werden konnte.

 

 

Weiterführende Links zum Thema: